- „Heimat-Freiheit-Tradition“, neumodische und abstrakte Designs, Einmischen in Musik und Kunst, Militarisierung von Untergruppen („Kadern“) – Ungewöhnliche Merkmale, der seit 2012-2014 existierenden rechtsextremen „Identitären Bewegung“, kurz „IB“ oder „Identitäre“. Seit Jahren wächst der Zuspruch innerhalb der Bevölkerung im Bezug auf Aktionen und die, durch die IB vertretenen Meinungen. Dass es notwendig und richtig ist, solche Formationen unter die Lupe zu nehmen, soll unser heutiges Interview belegen.
Mensch Merz, mit denen wir die Chance hatten zu reden, ist eben jene Gruppierung, die Sich und in ihren Aktionen speziell auf die Identitäre Bewegung spezialisiert haben. Zu finden unter:
Website: http://vonnichtsgewusst.blogsport.eu/
Twitter: https://twitter.com/MenschMerz.
Communiqué führte ein Interview:
Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen sich speziell mit der Identitären Bewegung auseinanderzusetzen?
Die „Identitäre Bewegung“ – wobei von einer Bewegung ja letztendlich keine Rede sein kann – ist zur Zeit sicherlich eine der aktivsten rechtsextremen außerparlamentarischen Formationen im deutschsprachigen Raum. Schon allein aus diesem Grund lag es nahe sich mit ihnen näher zu beschäftigen, hinzu kommt aber auch noch, dass viele der „Kader“ (kleinere Unterteilungen) ja nicht aus Unbekannten bestehen, die mit den „Identitären“ ihre politisches „Coming-Out“ hatten, sondern schon vielfach seit längerer Zeit in unterschiedlichen neonazistischen oder andersartigen, mindestens grenzwertigen, reaktionären Gruppierungen unterwegs waren. Die derzeitigen Prioritäten, die wir in unserer Arbeit setzen, entwickelten sich dann letzten endes ebenfalls. Es sind Resultate von ganz persönlichen Interessen, zum Teil aber auch Dingen, die uns noch ein bisschen mehr Ärgern, als es die Reaktionären sowieso schon tun.
Haben Sie mittlerweile „Lieblingskader“ unter den Identitären die z.B. mit besonders grotesken Themen oder Videos auffallen?
Wurden Sie selber von Identitären bedroht bzw. angegriffen?
Wichtig scheint unserer Meinung nach, dass wir die Logik des Verfassungsschutzes entkraften müssen, die ja davon ausgeht, dass sich „rechte“ & „linke“ Gewalt gegenseitig bedingen und anstacheln.
Nach einem kurzen Aufstieg der „Identitären Bewegung“ erfolgt gerade wohl der bodenlose Absturz. Kann man das so stehen lassen?
Von einem „bodenlosen Absturz“ zu sprechen halten wir für falsch oder, sollten wir uns hier vielleicht grundlegend täuschen, bestenfalls für verfrüht. Viele der Analysen und der, damit einhergehenden, Kritik an den Identitären bezieht sich auf die Aktion „Defend Europe“, was hierbei kaum Beachtung findet, ist allerdings der Umstand, dass die „Identitäre Bewegung“ nicht allein aus den Kadern besteht, die gerade mit dem Boot auf dem Mittelmeer herumfahren. Wie jüngst eine extrem gute Recherche der Genossinnen und Genossen von der „Recherche Graz“ zeigte, verfügt die IB mittlerweile im deutschsprachigen Raum über ein weit-verzweigtes Netzwerk unterschiedlicher Firmen (auch Sponsoren) und damit einer einhergehenden Infrastruktur. Dieses Netzwerk funktioniert auch noch, wenn Martin Sellner mal einen Monat lang nichts twittert. Wie wichtig die Aufrechterhaltung dieser Strukturen für sie ist, zeigt ja eben auch der Umstand, dass Patrick Lenart, der in vielen dieser Strukturen einer, wenn nicht sogar der wichtigste Akteur ist, sich relativ früh von der „Defend Europe“ Aktion zurückgezogen hat.
Ein ähnliches Bild können wir mit einem konkreten Blick nach Deutschland betrachten. Hier ist jüngst aus dem Umfeld des identitären Ablegers „Kontra Kultur“ ein ganzes Hausprojekt entstanden, was unserer Meinung nach eher kein Zeichen eines Absturzes, viel mehr der Konsolidierung dieser neueren Gruppierungen der extremen Rechten darstellt.
Unserer Meinung nach geht der Blick auf die vielen Facetten der derzeitigen Aktivitäten leider etwas in der starken Polarisierung von „Defend Europe“ unter. So regen sich zwar alle gerade über die „C-Star“ auf, dass die „Identitären“ aber gerade in Niederösterreich jedes Wochenende fast ungestört Infoveranstaltungen und Infotische aufstellen können, stört anscheinend nur Wenige. Es ist unserer Meinung nach ein grundlegender Fehler, dass innerhalb der Beschäftigung mit der „Identitären Bewegung“ vielfach nur auf deren „Prestige-Projekte“ geachtet wird und die Befindlichkeiten einzelner großer Kader.
Wie ordnen Sie die Defende Europe Aktion ein? Sichtet man den Twitterhashtag trifft man ja auf immer mehr Kritik an der Aktion unter Rechten.
Es bleibt dabei: Auch wenn die Aktion selbst nicht rund gelaufen ist, ist es unglaublich erschreckend, dass die „Identitären“ hier zeigen konnten, dass sie nicht nur international extrem gut vernetzt sind, sondern auch international handlungsfähig, dass ein kleiner Teil ihrer wichtigsten Kader extreme persönliche Strapazen auf sich nimmt, um ihre menschenverachtende Agenda nicht nur via Twitter, sondern ganz handfest real umzusetzen, dass sie mehr wollen als ein paar Demonstrationen im Jahr. So lustig viele der Situationen bei „Defend Europe“ waren, dürfen wir nie vergessen, dass da eine Gruppe vollkommen fanatisierter Rechtsextremer aktiv versucht Organisationen davon abzuhalten, Menschen zu retten.
Hat Sie die doch sehr große Spendensumme in kurzer Zeit überrascht?
Überraschender war, unserer Meinung nach, dass sie im deutschsprachigen Raum so viel Geld für eine sinnlose App sammeln konnten. Wiederum erschreckend ist aber, dass Organisationen, die in mehreren Ländern vom Verfassungsschutz beobachtet werden, immer noch so fleißig Geld einsammeln können und dass es meist erst größere Proteste der Zivilgesellschaft möglich machen, ihre Konten Konten zu löschen.
Einschätzung: Die Zukunft der Identitären Bewegung?
Die „Identitären“ vernetzen sich breit in der parlamentarischen und außerparlamentarischen Rechten. Trotz Unvereinbarkeitsbeschlüssen von AfD & FPÖ, gibt es zahlreiche Kontakte und gemeinsame Vernetzungen. Viele der „identitären“ Kader schreiben mittlerweile für diverse Publikationen der extremen Rechten und Organisationen, die maßgeblich von „Identitären“ mitgestaltet werden. Als Beispiel – „Ein Prozent“ agieren als scheinbar bürgerliche Orgas, denen es aber nur um Eines geht: Eine möglichst breitenwirksame Propagierung ihrer menschenfeindlichen Agenden. Hinzukommt, dass die „Identitären“ selbst mit allerlei Firmen versuchen, ihre Organisation zu verbreitern und zum Teil eben auch ihre eigentliche Gesinnung zu verschleiern. Unserer Meinung nach wird sich dieser Trend weiter fortsetzen.
Einzelne Gruppen innerhalb der „Identitären Bewegung“ arbeiten zur Zeit stark daran, bleibende Infrastruktur herzustellen. Das Haus in Halle ist hierbei der erste größere und bislang wahrscheinlich auch wichtigste Erfolg. Die „Identitären“ dürften sich mittlerweile mehr denn je bewusst sein, dass sie keine „Bewegung“ sind und deswegen ist es nur logisch, auf eine noch elitärere Organisation der eignen Gruppen zu setzen. „Identitären Zentren“ (auch wenn diese sich in den Räumen von Burschenschaften befinden), gemeinsame Camps und Schulungsorte werden deswegen in ihrer Wichtigkeit wohl weiter zunehmen. Die „Identitären“ sind mittlerweile ein durchaus wichtiger „Player“ innerhalb der extremen Rechten und das werden sie wohl auch vorerst bleiben. Leider.
Nun möchten wir noch auf den Menschen genauer eingehen, der maßgeblich den Twitter Account betreibt. Die Antworten sind nur für diese Person gültig. Was tut Mensch Merz, wenn er gerade nicht politisch unterwegs ist?
Ich beschäftige mich relativ viel mit Musik. Allen voran so ziemlich jede Spielart elektronischer Musik, wobei ich eine Vorliebe für sehr „noisige“ Sachen habe. Gruppen wie Fuck Buttons, Blanck Mass, SNTS oder Ancient Methods lassen mein Herzen immer aufgehen. Aber für Ravepartys bin ich wirklich immer zu haben. Ansonsten lese ich viel und ich beschäftige mich auch – Achtung jetzt wird es bürgerlich – mit Kunst. Wobei ich hier Vieles, was so in Galerien abgeht, meist total langweilig finde.
Lieblingsfilm von Menschmerz politisch und nicht politisch? LIeblingsbuch politisch und nicht politisch?
Auch bei Filmen tue ich mich wirklich schwer. Einer der besten Filme der letzten Jahre ist definitiv die französische Version von „Martyrs“, wobei Harmony Korines „Spring Breakers“ auch ziemlich genial ist und – Achtung Spoiler – mit der Klavierszene wohl eine der schönsten Szenen der letzten Jahre beinhaltet. Ja, ich stehe auf Pop. Ansonsten gibt es einzelne Regisseur*Innen, die ich sehr mag. Gaspar Noe steht hier ziemlich weit oben.
Sookee rappt in „Q1“ „Ich verliere das Vertrauen, Ich befürchte irgendwann steht für mich und alle meine Leute die Entscheidung an: Einsame Insel oder Untergrund?“ Was würde Mensch Merz wählen?
Vielen Dank für das Gespräch!